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Eine Stadtland Bauwende!

Bauwende als Kurswechsel auf vielen Ebenen

Bauwende in Transformation

Der Bausektor trägt weltweit und in erheblichem Maß zu den globalen Treibhausgasemissionen, zum Abfallaufkommen, zum Rohstoff- sowie zum Energieverbrauch bei. Unter dem Begriff der Bauwende wird der dringend notwendige Kurswechsel der Branche beschrieben, der weg von Ressourcenausbeutung und Umweltzerstörung führen soll. Und dieser Kurswechsel ist dringend nötig: Denn der Bausektor hat in Deutschland mehrmals in Folge die jährlich gesetzten CO2-Einsparziele verfehlt. Das zentrale Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, die weltweite Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, rückt damit in weite Ferne. Bis zum Jahr 2045 dürfen nur noch fünf Prozent der heutigen Treibhausgase emittiert werden. Die Menge der heutigen Rohstoffentnahme müssen wir um 60 Prozent reduzieren. Diese Zahlen machen den Umfang der Veränderungen deutlich — wir befinden uns mitten in einer kulturellen Transformation.

Die Bauwende bedeutet Veränderung auf vielen Ebenen. Es wird darum gehen, weniger Ressourcen zu verbrauchen, Abrisse zu vermeiden und vorrangig den baulichen Bestand weiter zu nutzen. Boden als endliches Gut muss geschützt werden, Flächenversiegelung muss eingeschränkt und Innenentwicklungen gestärkt werden. Zentrale Ziele sind dabei klimaneutrales, also treibhausgasneutrales Bauen ebenso wie ein entsprechender Betrieb. Eine geänderte Baupraxis wiederum benötigt veränderte Rahmenbedingungen. Das beginnt bei den gültigen Regularien in Gesetzen, Programmen und Förderungen und reicht bis zu neuer Expertise, Alltagspraxis und erweiterten Berufsbildern. Wesentlicher Bestandteil einer StadtLand Bauwende ist eine gemeinwohlorientierte und solidarische Raumentwicklung.

Ohne Landwende keine Bauwende!

Gerade die ländlichen Räume spielen beim Umbau des Bausektors eine wichtige Rolle, denn die Bauwende ist unmittelbar mit einer Materialwende sowie mit stofflichen Ressourcenbeziehungen zwischen Stadt und Land verknüpft. Der Wechsel von mineralischen Baustoffen zu nachwachsenden Naturbaustoffen ist ein entscheidender Schritt dieser Transformation. Ein bisher nicht genutztes Potenzial bietet sich, wenn man den Waldumbau und die Transformation der Landwirtschaft mit der Bauwende koppelt — als Bestandteil einer sektorenübergreifenden Entwicklung in ländlichen Räumen. Auch benötigt der Umbau zur konsequenten Versorgung mit erneuerbaren Energien Flächen. Damit wird klar: Die Bauwende kommt ohne eine Landwende nicht aus. Die StadtLand Bauwende thematisiert diesen Zusammenhang, der einerseits zu neuen Flächenkonkurrenzen führt und daher ein neues Verständnis von Landschaft benötigt.

Zu den Chancen einer solchen Wende gehört andererseits, dass die ländlichen Räume in der Zukunft neue anspruchsvolle Tätigkeitsfelder und materielle Wertschöpfung erschließen können, die auch zu einer neuen Wertschätzung dieser Räume und ihrer Menschen führt.

Einblicke in die Praxis

Perspektive Umbaukultur

Ein wichtiger Hebel der Bauwende liegt darin, den Gebäudebestand zu erhalten und weiter zu nutzen und Abrisse zu vermeiden. Die erheblichen Mengen an ›grauer Energie« in Bestandsgebäuden bleiben bislang weitgehend unberücksichtigt. Dabei kann der vorhandene Gebäudebestand als umfassendes Raum- und Rohstofflager begriffen werden. Statt also Bauaufgaben immer wieder reflexartig durch Neubau zu lösen, gilt es, sich mit der Substanz auseinanderzusetzen und die Lebensdauer von Gebäuden zu verlängern. Angesichts von Energie und Emissionen, die in Gebäuden ›stecken‹, sind Weiternutzung und Umbau hinsichtlich von Ressourcenbilanz und Lebenszyklusbetrachtung gegenüber dem Abriss und (Ersatz)Neubau eindeutig vorzuziehen. Abrisse müssen zur Ausnahme werden. Als zweite ihrer zehn Forderungen benennen die Architects for Future diesen Aspekt der Bauwende deutlich: ›Hinterfragt Abriss kritisch‹. Auch ein Blick auf die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und Europa macht klar, dass wir keine neuen Häuser brauchen. Zukünftig muss es um eine bessere Verteilung und kluge Nutzung des bestehenden Angebots gehen.

Wir brauchen daher eine Umbaukultur, bei der der bauliche Bestand als Ressource, als Teil von Identität und als kulturelles Gut wertgeschätzt wird. Damit rücken auch Gebäude jenseits des Denkmalschutzes in den Blick, die bislang oft nicht als erhaltenswert galten, wie Fabriken, landwirtschaftliche Gebäude, Bürohäuser oder Shoppingcenter. Auch unbequeme Bestände zählen dazu.

Eine neue Erzählung: LeerGut

Der opulente leerstehende Gebäudebestand in Stadt und Land (StadtLand) ist Identität, Lager und graue Energie und stellt neben seinem ökonomischen Wert eine Flächenreserve sowie ein Nutzungspotenzial dar. Dieses gilt es, aufzuschließen. Dieses Aktivieren von Potenzialen kann unmittelbar die Ortschaften stärken, in denen die Gebäude stehen. Unter dem Begriff ›LeerGut‹ aktivierte die IBA Thüringen in ihrer elfjährigen Praxis diverse leerstehende Gebäude. Die Umbenennung unterstrich dabei den Perspektivwechsel: Anstatt ungenutzte Immobilien als Leerstände oder gar Schrottimmobilien weiter abzuwerten, rückten die Aktiven deren Wert ins Bewusstsein: Das Haus ist noch gut, diese Anlage lässt sich noch nutzen — schaut doch mal genauer hin! Denn die Bauwende fängt in den Köpfen an. Hiermit verbunden ist eine sozioökonomische Perspektive, die statt des Marktwerts einer Immobilie ihren Gebrauchswert sowie aktives Handeln in den Mittelpunkt stellt. Etliche Industriegebäude, Kirchen, Bahnhöfe und ›Sommerfrischehäuser‹ wurden so erhalten, weiter- und umgenutzt. Ein zivilgesellschaftlich organisiertes Netzwerk von LeerGut-Agentinnen und -Agenten, das sich im Zuge der IBA-Aktivitäten entwickelte, stärkt mittlerweile landesweit diese neue Sichtweise und unterstützt entsprechendes Handeln durch Vernetzungs- und Beratungsangebote.

Am Beispiel des Projekts ›Haus Bräutigam‹ in Schwarzburg wird der Prozess des LeerGut-Aktivierens nachvollziehbar. Das traditionsreiche Sommerfrischehaus konnte vor dem Abriss gerettet werden und wird derzeit von einem Verein umgebaut. Eine genaue Analyse der Gebäudesubstanz und ein Abwägen des Umbaubedarfs führte zu einem schrittweisen Bauprozess. Hierbei erlernen die Aktiven unter anderem traditionelle Techniken des Fachwerkbaus und vermitteln sie in ›Bauschulen‹ und ›offenen Baustellen‹ an andere Interessierte. Das Aktivieren von Leerständen als gemeinsames Lernen zu verstehen, macht die Prozesse selbst zum wertvollen Teil von Umbauprojekten. Sie dienen der handwerklichen und baupraktischen Erfahrung ebenso wie der Vernetzung und kollektiven Wertschätzung. Das Haus Bräutigam ist darüber hinaus Teil des Sondervermögens StadtLand Thüringen. Dies bettet das Engagement und die Erfahrungen der Vereinsmitglieder in eine größere, regionale Dimension ein.

Um LeerGut in Nutzung zu bringen, müssen Strukturen, Eigentümer:innen und potenzielle Nutzer:innen zusammengebracht werden. Darüber hinaus benötigen mögliche Nutzer:innen beratende Unterstützung bei Themen wie Planungs- und Baurecht, Nutzungs- und Betreiberkonzepten, Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten, dem Bauen selbst sowie alternativen Eigentumsformen.

Bauwende heißt Kreislaufbauwirtschaft

Die mögliche Anpassung an spätere Nutzungen muss bereits in der Konzeption von Gebäuden mitgedacht werden. Auch wenn Rückbau möglichst vermieden werden soll, sind Produzent:innen und Bauherr:innen gehalten, Bauprodukte und -materialen sortenrein und rückbaufähig zu konstruieren und zu verbauen: ›design for disassembly‹ also. Für neue Gebäude bedeutet das, dass ein Gebäuderessourcenpass vorgehalten werden muss. Darüber hinaus sollten Rohbauten aufgrund ihrer Ressourcenanteile so lange wie möglich in Nutzung gehalten werden. Stoffliche Bedarfe, die nicht aus der urbanen Mine gedeckt werden können, müssen aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz und Naturfasern gewonnen werden. Hier spielt unter anderem Holz eine wichtige Rolle. Entscheidend ist dabei, Rohstoffe aus der Region zu verwenden, um eine positive CO2-Bilanz zu erzielen. Die IBA Thüringen erprobte das Bauen mit Holz aus regionalen Forsten an mehreren Projekten
und bezog dabei auch regionale Wertschöpfungsketten ein.

Zirkuläre Prozesse sowie die Wiederverwendung von Bauteilen und -material benötigen neue Strukturen und Distributionswege. Hier sind ebenso Fragen der Logistik zu klären wie Vergabe- und Gewährleistungsfragen. Um die Wiederverwendung von Baustoffen und Bauteilen zu fördern, braucht es einfache Regeln, Kriterienkataloge und passende Prüfverfahren.

Die Weiternutzung von Bauteilen setzt auch einen veränderten Entwurfsprozess voraus. Entworfen wird auf Grundlage des vorhandenen Materialangebots. Diese veränderte Arbeitsweise, die das Machbare und das Angemessene in den Blick nimmt, wird sich langfristig auch in einer anderen Ästhetik niederschlagen.

Kooperative Treuhänderschaft und integrale Planung

Neben Architekt:innen tragen Fachplaner:innen der Gebäudetechnik und Bauphysik sowie Landschaftsarchitekt:innen wesentlich zum Gelingen der Bauwende bei. Voraussetzung dafür ist eine integrale Arbeitsweise und ein ganzheitliches Verständnis des nachhaltigen Bauens. Allein den Wärme- und Energieverbrauch zu optimieren, führt ohne ein Bauen mit möglichst wenig Material nicht zur notwendigen Treibhausgaseinsparung. Gleichzeitig ist die Energieversorgung eine zentrale Stellschraube für ein gesamtökologisches und klimaneutrales Projekt. Um Fragen von Bodenversiegelung, Grundwasserbildung, Frischluftschneisen und Biodiversität zu bearbeiten, sollten auch ganzheitliche Freiraumplanungen integraler Bestandteil von Gebäude- und Quartiersplanungen sein.

Gerade weil es für ein solches anderes Bauen in vielerlei Hinsicht noch keinen anerkannten Stand der Technik gibt, ist es wichtig, dass alle Planenden projektbezogen und interdisziplinär Rahmenbedingungen und mögliche Lösungen abwägen. Das bedeutet für jeden Einzelnen, Verantwortung über die eigene fachliche Zuständigkeit hinaus zu übernehmen — für ein Projekt im Ganzen, für eine klimaneutrale Gesellschaft und für eine lebenswerte Zukunft. Diese kooperative Treuhänderschaft für Ressourcen und gegenüber der Gesellschaft ist ungewohnt. Jedoch ist sie dringend notwendig, um den Klimazielen und planetaren Grenzen gerecht zu werden.

Eine mögliche Strategie folgt der Frage ›Wie wenig ist genug?‹ und thematisiert die derzeit hohen Bau- und Nutzungsstandards. Am minimalinvasiven Ausbau des Eiermannbaus in Apolda lässt sich dieser Ansatz nachvollziehen. Dabei wurden Antworten gesucht, die gut und ausreichend sind für heutige Bedarfe und Rahmenbedingungen, auch im Sinne des Komforts. Lowtech und Suffizienz waren dabei wichtige Begriffe. Gerade mit dem Ziel, Bestände langfristig zu nutzen, braucht es eine neue Robustheit und Haltbarkeit von Architektur und ihrer technischen Ausstattung. Auch dynamische Berechnungsmethoden sollten längst gängig sein, um eine ganzheitliche Betrachtung der technischen Konzepte von Projekten zu ermöglichen.

Planungswissen frei zugänglich machen als Open Source

Die Planungskosten im öffentlichen Bauen betragen oft mehr als 30 Prozent der Gesamtbaukosten. Dabei lässt sich öffentlich finanziertes Planungswissen auf einfache Art und Weise zugänglich machen. Erweiterte Nutzungsrechte (Open Source) in den Planungsverträgen können die Weiterentwicklung und Wiederverwendung guter Lösungen vereinfachen und die Planungssicherheit für Auftraggeber:innen erhöhen. Gerade für wiederkehrende und strukturelle Bauaufgaben wie den Wohnungs- und Bildungsbau entsteht so ein Handlungsrahmen, der Kommunen sinnvoll unterstützt. Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft beschreitet diesen Weg bereits auf Grundlage des Neubaus der Gemeinschaftsschule Jenaplan in Weimar mit der Plattform ›Schulbau Open Source‹.

Beziehungsarbeit, Experimente und ein gesellschaftliches Lernen

Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit haben eine ökologische, ökonomische, ästhetische und auch soziale Dimension. Inklusion ist ein wesentlicher Bestandteil einer zeitgemäßen, sozialen Raumpraxis. Sie beschreibt unter anderem das Ziel, Menschen auf der Flucht ein Ankommen und Bleiben zu ermöglichen. Gerade in Klein- und Mittelstädten ländlicher Räume, die über große Raumreserven verfügen, ist dies eine lösbare Aufgabe und eine enorme Herausforderung zugleich. Hier sind Formate gefragt, mit denen sich die neuen Bewohner:innen mit ihrem Können und Wissen einbringen können. Ankommen gelingt auf diese Weise durch Teilhabe und gemeinsames Handeln. Ein gutes Praxisbeispiel ist hier das ›Werkhaus‹ in der Beulwitzer Straße in Saalfeld. Dieses wird sowohl Räume für Begegnung und Bildung bieten als auch Flächen für kleinteiligen Handel und ein Café, das Bewohner:innen selbst betreiben. Zentraler Akteur des Planungs- und Bauprozesses ist ein soge- nannter ›Werkhausmanager‹, der eine integrative und vernetzende Funktion erfüllt.

Teilhabe in Planungs- und Bauprozessen ist generell dringend geboten — als Mittel der Selbstwirksamkeit und um langfristig für Akzeptanz der geschaffenen Orte zu sorgen. Um sie einzulösen, müssen eine größere Aufmerksamkeit für Beziehungsarbeit, zwischenmenschliche Prozesse und das Aushandeln unterschiedlicher Interessen und Bedarfe zu einem Teil der Bauwende werden.

Nach wie vor ergibt sich aus den Themen der Bauwende erheblicher Forschungsbedarf. Theoretisches Wissen muss in einem höheren Tempo den Weg in die Praxis finden — auch abseits von Reallaboren und Modellpro- jekten. Dazu braucht es eine Praxis, die generell experimentell ist, es braucht das Erproben von Lösungen, ergebnisoffene Prozesse und mutige Bauherrschaften und Projektbeteiligte, die bereit sind, Sicherheitsdenken zu überwinden und gemeinsam Verantwortung für das klimagerechte Bauen zu übernehmen. Damit einher geht eine neue Kommunikationskultur, die Fehler und Konflikte als Teil des Experiments akzeptiert und zur Basis weiteren Arbeitens macht.

Planungs- und Bauprojekte im Bestand als räumliche und für alle begreifbare Prozesse können auf diese Weise zum gesellschaftlichen Lernen beitragen. Das demokratische Aushandeln der anstehenden großen Transformationsaufgaben lässt sich an ihnen einüben.

Chancen und Lösungen

Starke Bündnisse und Transformationslotsen

Mit der Bauwende ist ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess verbunden, der neue starke Bündnisse zwischen Politik, Verwaltung, Lehre und Forschung, Bauindustrie und Zivilgesellschaft erfordert. Dieser Prozess benötigt eine Verständigung auf gemeinsame Ziele. Insbesondere die kommunalen Verwaltungen kleiner und mittlerer Gemeinden sollten darin unterstützt werden, die Herausforderungen des Klimaschutzes und -anpassungsbedarfs zu meistern. Als wichtige Auftraggeber:innen und Vorbilder für klimagerechtes Planen und Bauen sind sie gefragt, strategische Instrumente einzusetzen, sich klar zur Bauwende zu bekennen, für rechtssichere Wege zu sorgen, zielführende Ausschreibungen zu formulieren und kooperative wie experimentelle Prozesse zu fördern. Derzeit führen Fachkräftemangel und zentralisierte Strukturen jedoch gerade in ländlichen Räumen dazu, dass Kommunen zwar verwalten, aber nicht mehr gestalten können. Angesichts der Wucht der neuen Herausforderungen könnten hier sogenannte Transformationslotsen unterstützen und als verbindliche, dauerhafte Verfahrens- und Prozessbegleiter:innen wirken.

Projekte vollständig erfassen und Umweltfolgen bepreisen

Eine faire Bepreisung von Umweltfolgen ist — auch in Rücksicht auf kommende Generationen — eine zentrale Voraussetzung für die Bauwende. Auch gilt es, Genehmigungen an eine verbindliche Ausweisung der CO2- Gesamtbilanz und an die Einhaltung definierter Zielwerte zu knüpfen. Ein Gebäudematerialpass könnte die ›Ressource Gebäude‹ stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken. Über die verbauten Materialien und ihre ›Kreislauffähigkeit‹ hinaus würde solch ein Pass auch graue Energie und graue Emissionen ausweisen. Auf dieser Basis lassen sich wiederverwertbare Baustoffe in einer Material-Datenbank inventarisieren und Immobilien zu ›Wertstoffdepots‹ machen. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft von Baustoffen benötigt zudem neue Distributionswege und Zertifizierungslösungen.

Regionale Ressourcen fördern

Um regionale Kreisläufe in der Praxis umzusetzen, sind die Möglichkeiten des öffentlichen Vergaberechts zugunsten der Verwendung regionaler Ressourcen zu stärken. Öffentliche Bauvorhaben erfordern je nach Kostenrahmen meist EU-weite Ausschreibungen. Das europäische Vergaberecht, das den grenzüberschreitenden Leistungsaustausch sicherstellen will, unterbindet es, regionale Lieferanten zu beauftragen, um einen ›Standortvorteil‹ auszuschließen und den Grundsatz der Gleichbehandlung zu wahren. Diese Regelung schließt paradoxerweise regionale Anbieter aus, die für die Bauwende essenziell wären. Ausnahmen, die das Vergaberecht auch heute schon vorsieht, basieren auf umweltbezogenen Aspekten als Kriterien der Ausschreibung. Dies gibt öffentlichen Auftraggeber:innen die Möglichkeit, eine nachhaltige und regionale Beschaffung zu definieren und so den Einsatz regionaler Ressourcen zu forcieren.

Leistungsphasen 0 und 10/11 finanzieren

Gerade für komplexere Gebäudeplanungen empfiehlt es sich, eine förderfähige ›Leistungsphase 0‹ zu etablieren. Sie sorgt dafür, dass nicht am Bedarf vorbei gebaut wird. Sie ist den HOAI-Phasen vorgelagert und dient der Entwicklung von Raumkonzepten und Nutzungsszenarien. In dieser Phase können sich die verschiedenen Gewerke, Expert:innen sowie andere Beteiligte — wie etwa spätere Nutzer:innen –frühzeitig verständigen, Bedarfe ermitteln und gemeinsam ganzheitliche Ansätze erarbeiten. Damit bietet diese Leistungsphase eine Grundlage, interdisziplinär zu arbeiten und integrale Konzepte zu entwickeln. Im Idealfall sollte eine Leistungsphase 0 professionell begleitet werden.

Auch sollte — gerade bei experimentellen Projekten — eine ausfinanzierte ›Leistungsphase 10 und 11‹ zum Standard werden. Diese umfasst eine Begleitung von Maßnahmen bis in den praktischen Betrieb hinein und eine Evaluierung. Hier wird beispielsweise deutlich, ob die Gebäudetechnik die gewünschten Energieeinsparungen bewirkt oder ob sie zu Reboundeffekten führt. Auch bei integralen Lösungen jenseits von Standards zeigt sich, ob diese die Erwartungen erfüllen und wegweisend sind. Dies bildet die Basis, gewonnenes Wissen für nachfolgende Projekte bereitzustellen.

Ein Verhandeln der Disziplin selbst

Für Hochschulen bedeutet Bauwende auch eine Transformation der Lehre selbst. Die Reproduktion alter Rollenmodelle, Standards und Methoden, die in die aktuelle Krise geführt haben, muss in Frage gestellt werden. Viele Planungs- und Architekturinstitute stellen sich aktuell den Themen des klimagerechten und nachhaltigen Bauens. Dazu gehören institutionelle Positionierungen, Mission Statements und das Verhandeln der Disziplin insgesamt. Gerade die Lehre sollte für neue Themen und Projekte, für Suchbewegungen und Lernprozesse offen sein. Hochschulen können und müssen zu einer klimagerechten Praxis anstiften und eine kooperative Kultur einüben. Lehrende tragen dazu bei, indem sie selbst einen Bezug zur Praxis pflegen und diesen auch Studierenden vermitteln. Mit Formaten wie Bauhütten und Bauschulen lässt sich die Lehre unmittelbar in experimentelle Bauprojekte und Reallabore einbetten.

Gemeinwohl im Blick

Die aktuellen Herausforderungen der Bauwende zeigen, wie notwendig ein Handeln und Aushandeln im Sinne des Gemeinwohls ist. Die Vernachlässigung von Leerständen und steigende Bodenpreise erschweren eine soziale und kulturelle Teilhabe. Fehlende Angebote der Daseinsvorsorge unterlaufen gleichwertige Lebensverhältnisse und untergraben Zukunftsvoraussetzungen in Stadt und Land. Der demokratische Zusammenhalt der Gesellschaft steht auf dem Spiel. Es ist eine politische Aufgabe, Instrumente der Koproduktion und Gemeinwohlorientierung wie öffentliche Bodenfonds, Anlaufstellen für private und zivilgesellschaftliche Akteure, Konzeptverfahren und Erbbaurechte als alltägliche Praxis zu etablieren und das Wissen über sie breit zur Verfügung zu stellen.