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Auf zu Klimakulturlandschaften!

Landschaft neu denken

Der Druck auf die Flächen steigt

Landschaften sind in Europa größtenteils nicht unberührte Natur, sondern Kulturlandschaften, in denen
sich die Aneignungen der Menschen widerspiegeln. Kulturlandschaften sind gestaltet — und sie stellen uns vor neue Transformationsaufgaben. Zugleich steigt der Druck auf die Flächen: Wachsende Metropolen mit steigenden Mieten und neue Landlust fördern die Nachfrage nach Wohnraum in ländlichen Regionen. Diese zieht auch den Bau neuer Infrastrukturen wie Straßen nach sich. Die Energiewende erfordert Flächen für Windkraftanlagen und Solarparks und steht damit oft in Konkurrenz zur Landwirtschaft. Immer noch verschwinden 55 Hektar pro Tag unter Stein oder Asphalt und die fortschreitende Versiegelung gefährdet die Klimaziele, die sich nur mit CO2-Senken wie Mooren und intakten Wäldern erreichen lassen.

Neue Umgang mit Landschaft

Klimawandel und Artensterben, Flächenversiegelung und gefährdete Grundwasserneubildung erfordern einen neuen Umgang mit Landschaft. Die Anforderungen an Landschaften sind komplex und vielfältig. Monofunktionale Ansätze werden diesen nicht gerecht. Daher ist ein Paradigmenwechsel hin zu multicodierten Landschaften nötig.

Es gilt, Potenziale zu ermitteln, wie Kulturlandschaften beispielsweise zugleich für Landwirtschaft und Energieproduktion genutzt werden und darüber hinaus Habitat für eine Vielfalt von Arten sein können. Forste müssen so umgebaut werden, dass sie angesichts der Folgen des Klimawandels resilient sind. Siedlungen müssen so geplant werden, dass Fragen nach Grundwasserbildung, Frischluftschneisen und Biodiversität von Beginn an mitgedacht werden. Darüber hinaus müssen Kommunen sich in nicht gekanntem Ausmaß der neuen Aufgabe stellen, Klimaanpassungsmaßnahmen zu leisten.
Damit zukunftsfähige Klimakulturlandschaften entstehen, braucht es lokale Landschaftskompetenz, ein neues Selbstverständnis der Landschaftsarchitektur und -planung und eine Diskussion darüber, welche Bedeutung Landschaftsräume in der Transformation haben. Wer formt, wer plant, wer gestaltet Landschaften? Welche Beispiele multicodierter Landschaften gibt es bereits? Und wie lassen sich Erfahrungen aus Pilotprojekten in die Breite tragen?

Einblicke in die Praxis

Mehrere Nutzungen geschickt kombinieren

Wir brauchen Wege und Modelle, um zu multicodierten Kulturlandschaften zu gelangen. Weder ist es sinnvoll, Flächen allein für land- oder forstwirtschaftlichen Ertrag zu nutzen, noch Energielandschaften zu planen, die großräumig Flächen versiegeln. Stattdessen gilt es, Kulturlandschaften in ihrem Wert und ihren Funktionen mehrdimensional zu denken. Dabei spielen Klimaresilienz und Biodiversität, Erlebbarkeit und Einbettung in regionale Kontexte eine zentrale Rolle. Dabei müssen Wirtschaftskreisläufe ebenso, wie kulturelle Zusammenhänge beachtet werden. Die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Nutzungen muss fester Bestandteil der Landschaftsplanung werden. So können auf einem Feld beispielsweise gleichzeitig Früchte und erneuerbare Energie geerntet werden. Das zeigen Modellprojekte zum Agri-Photovoltaik-Verfahren bereits erfolgreich.

Kulturlandschaften gestalten in der Praxis jene, die Flächen besitzen, sie nutzen oder bewirtschaften. Neben Gewässerverbänden und Kirchen, die viele Flächen verpachten, spielen Land- und Forstwirte hierbei eine große Rolle.

Landwirtschaft als Treiber der Transformation

Ein großer Anteil der Flächen in Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt. Ohne einen Wandel auf den Feldern lassen sich Landschaften weder klimaresilient gestalten, noch lässt sich das Artensterben aufhalten. Über die allgemeine Relevanz hinaus muss es im eigenen Interesse der Agrarwirte liegen, auf den Klimawandelzu reagieren, denn Klimaveränderungen haben heute schon nachweisbare Auswirkungen auf die Landwirtschaft: die Vegetationsperiode verschiebt sich, Niederschläge verlagern sich in die Winterzeit, Bodenerosion und Extremwetterereignisse nehmen zu.

Wie Klimaanpassung praktisch aussehen kann, zeigt ein Beispiel der IBA Thüringen in Kooperation mit zwei Landwirten und dem Künstlerhaus Thüringen in Kannawurf, einer Gemeinde im Thüringer Becken. Zusammen entwickelten sie ein Zukunftsbild für eine klimagerechte Landwirtschaft, das ökologische, ökonomische und soziokulturelle Strategien vereint.

›Keylines‹ gegen Dürre und Erosion

In einer Machbarkeitsstudie zu 1.500 Hektar Fläche auf der Gemarkung Kannawurf wurde zunächst der klimatische Ist-Zustand aufgenommen, dann ein Bild der zu erwartenden Problemlagen gezeichnet und auf dieser Basis schließlich mögliche Lösungen entwickelt. Dabei zeigte sich, dass infolge längerer Trockenheitsperioden und Starkregenereignisse vor allem Bodenerosion ein Problem darstellt — gerade in den Hanglagen. Eine der größten Herausforderungen ist es daher, Feuchtigkeit in der Landschaft zu halten. Verschiedene ›Klimalandschaftstypologien‹ wie Kuppen, Hänge oder Auenlandschaften erfordern jeweils eigene Anpassungsstrategien. Eine von ihnen sind ›Keylines‹ — Gräben, die parallel zum Hang angelegt werden, um Wasser am Abfließen zu hindern und stattdessen sukzessive in der Fläche zu verteilen.

Eine hydrologische Simulation zeigte, dass sich so bis zu 13 Prozent mehr Wasser in der Fläche halten lässt und die Bodenerosion um bis zu 60 Prozent sinkt. Durch Bäume entlang der Gräben lässt sich der Effekt noch verstärken. In Kannawurf wurde diese Strategie angewandt, dabei pflanzte der Landwirt unter anderem Hybridpappeln, die besonders anspruchslos sind.

In diesem Ansatz liegt ein enormes Potenzial, in größerem Maßstab zur Anwendung zu kommen. Denn auch konventionell wirtschaftende Landwirte können solche Maßnahmen leicht umsetzen, ohne ihren Betrieb umzustellen. Die Keylines können beispielsweise so angeordnet werden, dass große landwirtschaftliche Maschinen problemlos zwischen ihnen fahren können und die Gräben nicht beim Säen oder Ernten stören.

Mehr Vielfalt auf dem Acker

Zum ganzheitlichen Leitbild gehört darüber hinaus, abgestimmt auf die Landschaftstypologien diversifizierte Mischkulturen anzubauen. Um bei einer Vielfalt von Feldfrüchten dennoch bestimmte Abnahmemengen zu erreichen, arbeiten mehrere Landwirt:innen kooperativ mit einem überbetrieblichen Fruchtfolgenmanagement. Dies wurde in Kannawurf noch nicht praktisch umgesetzt.

Über die eigenen Ansätze hinaus formuliert das Leitbild weitere Anforderungen an eine künftige Landwirtschaft und skizziert mögliche Strategien. Dazu zählt, landwirtschaftliche Produkte zu diversifizieren, mehr Produkte zu veredeln sowie qualifizierte Erwerbsarbeit und Wertschöpfung vor Ort zu generieren. Ziel ist, dass Landbewohner:innen wieder nachhaltige Beziehungen zu Ort, Landwirtschaft und Ressourcen aufbauen.Es empfiehlt sich darüber hinaus, durch kleinteiligere Strukturen und den Anbau unterschiedlicher Kulturen ökologische Vielfalt zu fördern. Felder sollten möglichst bodenschonend bewirtschaftet werden, um den Aufbau von Bodenorganismen und Humus zu ermöglichen. Ausgeräumte Flächen sind um zusammenhängende Wiesen und Gehölzflächen zu ergänzen, um für Wildtiere Korridore zwischen ihren Habitaten zu schaffen.

Zum Landleben gehören Landschaften

Ein weiterer Schwerpunkt einer zukunftsfähigen Land- schaftsgestaltung sollte es sein, die Beziehungen zwi- schen Land(wirt)schaft und Bevölkerung wieder zu stärken, indem Landschaft besser wahrnehmbar wird. Landschaften, die Menschen nicht mehr sehen, ver- schwinden aus deren Bewusstsein. Gezielte Durchweg- ungen, Gestaltungen oder Inszenierungen lassen neue Beziehungen zur Landschaft entstehen. Darüber hinaus vermitteln geführte Spaziergänge die Komplexität von Ökosystemen. ›Feldtage‹ machen die Klimakulturland- schaft zum Lernort.

Landschaftsplanung in Siedlungen

Auch Planungsaufgaben in Siedlungen stehen vor der Herausforderung, Antworten auf die klimatischen Veränderungen zu finden. Angesichts zunehmender Hitzeperioden, drohender Wasserknappheit und immer dichter lebender Bevölkerung gewinnen Grün- und Freiflächen an Bedeutung und müssen schon frühzeitig in der Planung mitgedacht werden. Landschaftsplaner:innen und Architekt:innen können dazu beitragen, dass ›mehr Grün‹ in die Städte einzieht. Grünflächen dienen als Frischluftschneisen, zur Erholung, als CO2-Speicher oder zur Regenwasserversickerung. Darüber hinaus bilden sie die Basis für städtische Biodiversität.

Kleine Kommunen vor großen Aufgaben

Kommunen — gerade in ländlichen Räumen — müssen in nicht gekanntem Ausmaß Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen leisten. Dazu gehören beispielsweise Strategien, als ganze Gemeinde Treibhausgas-Emissionen zu vermeiden. Entscheidende Schritte müssen aber in größerem Maßstab geplant und über Gemeindegrenzen hinweg umgesetzt werden. Dazu zählen etwa Maßnahmen zum Hochwasserschutz oder die Planung von Landschaftsschutzgebieten, um Frischluftschneisen und CO2-Senken zu gewinnen. Diese Maßnahmen erfordern ein gemeinde- und sektorenübergreifendes Planen und Handeln. Gerade ländliche Gemeinden sind mit dieser Querschnittsaufgabe jedoch oft strukturell überfordert. Es fehlt ihnen an personellen wie finanziellen Ressourcen und Knowhow, um aufwändige Prozesse der Problemanalyse, Konzeptentwicklung und strategischen Planung zu bewältigen.

Chancen und Lösungen

Klimakulturlandschaften müssen verhandelt werden

Klimakulturlandschaften sollten das Ergebnis von Aushandlungsprozessen sein, an denen alle Akteur:innen mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und Perspektiven beteiligt werden. Wenn Landschaft als Prozess und Veränderung als gemeinsame Aufgabe verstanden werden, wird Landschaftsgestaltung zur anspruchsvollen Kommunikations- und Vernetzungsarbeit. Die zentrale Aufgabe ist, diese Kommunikation zu leisten und Prozesse zu moderieren.

Doch wie können solche Aushandlungsprozesse aussehen? Und wie gelangt das nötige Wissen, das die
Basis für Transformationsprozesse bildet, an die richtigen Stellen? Anhand des Oderbruchs in Brandenburg und der dortigen Arbeit des Oderbruch Museums wird nachvollziehbar, dass kulturelle Prozesse, die mit einer andauernden Selbstbeschreibung einhergehen, die Grundlage einer solchen Aushandlung sind. Landschaften sind geteilte Flächen, aber sie werden auch miteinander geteilt, und niemand hat ein Monopol über sie. Daher bedarf es intensiver Kommunikationsprozesse.

Landschaftsarchitekt:innen und -planer:innen sind Generalisten, sie können Landschaft in größeren Zusammenhängen gestalten und verschiedene Perspektiven zusammen denken. In multiperspektivischen Aufgabenstellungen gewinnen sie an Bedeutung und könnten sich zu einer Schlüsseldisziplin entwickeln. Allerdings haben sie nicht das Mandat, Entscheidungen zu treffen und sind nur temporär an Prozessen beteiligt. Kommunen käme die Aufgabe zu, Aushandlungsprozesse zu moderieren, jedoch fehlen ihnen meist die Kapazitäten hierzu. Darüber hinaus haben sie in Nutzungskonflikten eine schwache Position.

Leitbilder verbinden und machen Veränderungen greifbar

Um verschiedene Perspektiven zu einem Zukunftsbild zusammenzuführen, können Leit- und Raumbildprozesse helfen. In ihrem Rahmen können alle Stakeholder und Expert:innen in die Planung einbezogen werden und interdisziplinär arbeiten. So lässt sich beispielsweise Expertise aus Planung und Gestaltung mit Wissen über Botanik, Geologie oder Meteorologie zusammenbringen. Vor allem erlauben Leitbildprozesse, sektoren-und gemeindeübergreifende Szenarien zu entwickeln, die über Partikularinteressen hinausgehen. Hilfreich können hier auch regionale Entwicklungsinstrumente sein, die anregen, im Maßstab der Region Ziele zu formulieren sowie Kooperationen und Netzwerke zu bilden.

Neue Praktiken müssen raus aus der Nische

Auf dem Weg zu nachhaltigen Klimakulturlandschaften müssen neue Praktiken — wie etwa Keylines oder Agroforste — den Weg aus der Nische finden und in der Breite zur Anwendung kommen. Auch hierzu braucht es Kommunikation und Vernetzung. Hilfreich können hier u.a. etablierte Verbände sein. Um Akteur:innen wie Landwirte oder Kommunen mit Knowhow zu unterstützen, können Transformationslotsen zum Einsatz kommen. Diese können Fachexpertise aus Projekten vermitteln, die andernorts bereits erfolgreich umgesetzt wurden.

Förderlandschaft als Nährboden für Innovation

Überfällig ist ein Paradigmenwechsel weg von der Flächensubvention hin zur Förderung von Innovation. Ein essenzielles Problem ist, dass landwirtschaftliche Förderungen der EU (damals EG) seit den 1970er-Jahren als Flächenförderungen funktionieren, in die die Produktveredelung bis heute nicht einbezogen wird. Landwirtschaft entwickelte sich auf diese Weise zur reinen Primärproduktion, die ihre Wertschöpfung über niedrige Löhne und Preise realisiert. Benötigt werden stattdessen Förderungen von Innovation, Experimenten mit Fruchtfolgen, lokaler Produktveredelung und Entwicklung neuer Produzenten-Konsumentenbeziehungen.

Mehr Geld und Wissen für kleine Kommunen

Gemeinden müssen befähigt werden, Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu leisten. Dazu benötigen sie personelle und finanzielle Ressourcen sowie Knowhow. Auf finanzieller Ebene kann ein Ansatz darin bestehen, Kommunen an Erträgen aus der Produktion erneuerbarer Energien zu beteiligen. Um mit Knowhow zu unterstützen, sind in manchen Kommunen bereits Klimamanager:innen im Einsatz, die u.a. dabei beraten, auf Gemeindeebene CO2-Emissionen zu reduzieren. Erfahrungen zeigen, dass diese wesentlich erfolgreicher arbeiten können, wenn sie auf der Basis einer kommunalen Selbstverpflichtung und Strategie zu Klimaschutz und Klimaanpassung agieren können. Außerdem brauchen sie ausreichend Mittel und dauerhafte Stellen, die beispielsweise als Stabsstellen dem Bürgermeisteramt zugeordnet sind. Andernfalls haben sie weder das Durchsetzungsvermögen noch den langen Atem, um Veränderungen zu bewirken.

Darüber hinaus lassen sich kommunale Klimaanpassungskonzepte durch Förderungen unterstützen, die helfen, Bedarfe zu ermitteln und strategisch zu planen. Auch hier gilt es, gemeinde- und sektorenübergreifendes Handeln anzuregen. Beispielsweise lassen sich regionale Verbünde fördern, die abgestimmte Klimaanpassungskonzepte entwickeln. Um Kommunen zukunftsfähig und lebenswert zu erhalten, ist die Klimaanpassung von großer Bedeutung. Daher müssen Kommunen die komplexe Aufgabe ganzheitlich angehen, statt ihr nur durch punktuelle Maßnahmen zu begegnen. Eine Möglichkeit wäre, die Klimaanpassung als kommunale Pflichtaufgabe zu definieren. Allerdings müssen finanzielle und personelle Rahmenbedingungen es ermöglichen, sie in der Praxis auch umsetzen zu können.

Klimalandschaften als Lehrfach

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Klimakulturlandschaften der Zukunft haben Universitäten, die Landschaftsarchitekt:innen und -planer:innen ausbilden. Denn diese bringen Themen ins Bewusstsein und prägen die Planungskultur von morgen. Dabei wandelt sich das Selbstverständnis von Landschaftsarchitekt:innen von der ›Dienstleistung an Freiraumgestaltung‹ hin zum Lösen räumlicher Zukunftsaufgaben. Hochschulen können in Zusammenarbeit mit Regionen diese Arbeitsweise erproben und so, beispielsweise über Reallabore, auch stärker in der Praxis arbeiten.
Bei dieser Arbeit am ›Landschaftsgeschehen‹ wird von einem Wechselgefüge aus menschlichen und nicht-menschlichen Beteiligten ausgegangen. Denn nicht der Mensch allein gestaltet Landschaften. Aber sein Wirken setzt den Rahmen für dieses Wechselgefüge und muss deshalb mit großer Verantwortung verbunden werden.